Marianna Gostner
Marianna Gostner ist in Völs am Schlern aufgewachsen, sie ist italienischer Nationalität und lebt seit 2006 in der Schweiz. Die Künstlerin arbeitet mit verschiedenen Materialien und Techniken: Textil, Naturfärberei, Malerei, Skulptur. Sie zeigt ihre Arbeit in Einzel- und Gruppenausstellungen in Südtirol und Italien, der Schweiz, in Deutschland, Österreich und China.
Marianna Gostner, Geschriebene Bilder
Aufenthalt
04.01. - 28.03.2021
Kontakt
Geschriebene Bilder
Herzliche Einladung zur Ausstellung und Begegnung mit der
Künstlerin Marianna Gostner. Sie zeigt Werke, die in Bedigliora entstanden sind.
Es gibt keinen gemeinsamen Anlass, aber die Werke sind vom 20. bis zum 26. März zu sehen. Wichtig: Wir bitten um Anmeldung (076 338 69 36 oder gostnermarianna@gmail.com).
Marianna Gostner, Geschriebene Bilder
Marianna Gostner ist auf einem Bauernhof im Südtirol, in Völs (italienisch Fiè) aufgewachsen. Ihre Eltern waren deutschsprachig, Italienisch kam dann in der Schule dazu. Ihr Grossvater, der den Bauernhof führte, wollte ursprünglich Künstler werden. Als Autodidakt schuf er nur zwei noch vorhandene beeindruckende Holzskulpturen. Er verbrachte viel Zeit mit der Enkelin. Ihre liebste Tätigkeit war schon als Kind das Zeichnen, da fühlte sie sich zuhause. Und sie wusste früh, dass das ihr Beruf werden sollte. Nach der Schule durfte sie aber nicht auf die Kunstakademie, und so lernte sie zuerst andere Berufe, u.a. arbeitete sie eine Zeitlang als Hutmacherin. Ihre handwerkliche Geschicklichkeit, ihr Sinn für Textiles, für Materialien und für Gestaltung kamen ihr dabei zugute. Immer wieder besuchte sie Kurse und Sommerschulen, bildete sich auf Reisen weiter. Sie erhält Aufträge und zeigt ihre Arbeiten in Einzel- und Kollektivausstellungen.
Die Künstlerin, deren Atelier in Uerikon am Zürichsee manchmal einem alchemistischen Hexenkessel gleicht, weil sie selber Farben herstellt, ist nur mit Tusche und Papier nach Bedigliora gereist. Schwarz und blau, ein wenig rot und weiss, das sie dann gar nicht benutzte. Sie arbeitete mit aus China mitgebrachten Tuschestiften und der Feder. Ihr erstes Blatt beschrieb sie gänzlich mit dem Wörtchen ICH – immer durch Punkte voneinander abgetrennt: Fünfzig Wörter nebeneinander pro Zeile, 240 Zeilen untereinander. «Bevor ich hierherkam, hatte ich das Gefühl, mein eigenes Ich sei mir abhandengekommen», sagt die Künstlerin. «Es war eine Art, anzukommen und zu mir zurückzufinden. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich im Museum Merano Arte arbeitete. In einer Installation rief der österreichische Dichter Ernst Jandl laut „Ich“ – seine Stimme schallte mit diesem Wort den ganzen Tag durch das Haus und erfasste mich ganz». All diese Ich’s – handelt es sich um eine Nabelschau? Keineswegs, eher um ein persönliches und ästhetisches Koordinatensystem, einen besonderen Tepp-ich. Dieses kleine Wort mit drei Buchstaben bezeichnet nicht nur die Künstlerin, sondern alle, die vor dem Bild stehen. Wer immer das Wort ergreift, sagt und ist „Ich“: so kann das Wort jeden Menschen auf Erden meinen. Andrerseits hat auch jeder einzelne Mensch viele verschiedene „Ichs“ – frei nach dem Spruch „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Humorvoll signiert die Künstlerin in der letzten Zeile, indem sie die genaue Anzahl der Wörter notiert, gefolgt von ihrem Namen: Elftausendneunhundertneunundsechzig·Mal·ICH·Marianna·Gostner.
Die Künstlerin arbeitet mit beeindruckender Präzision: die letzte Zeile des «Ich-Bildes» weicht zwar von den vorherigen ab, fügt sich aber in der Länge genau ein. Das hat sie berechnet, denn Tusche erlaubt keine Korrekturen. Beim Malen muss sie daher immer ganz präsent sein – kleine Fehler kann sie auffangen, ins Bild einbauen. Trotzdem lässt sie sich auch tragen von der Bewegung des Malens und schaut, was dabei passiert. Schwungvoll entstehen Bilder mit Halbkreisen, die sie von der unteren Blattseite übereinander aufbaut. Beim Malen stolpert die Künstlerin an gewissen Stellen, und interessanterweise beim nächsten Strich darüber wieder etwa an der Stelle, so dass eine Falte im Tusch-Gewebe entsteht. Wie der Pinsel bleibt auch das Auge hängen, es interpretiert die dunkleren und helleren Stellen als Relief. So runden sich die Gebilde in den Raum, erinnern an übergrosse Kerne oder Gefässe, an Kalebassen. Sie verströmen eine geballte Ruhe und eine grosse Energie: die Kerne könnten aufplatzen, die Gefässe überquellen, bersten.
Ruhe und Ordnung, aber auch das Aufbrechen der Ordnung bestimmen als gegensätzliche Pole das Werk der Künstlerin: Da ist das Geborgenheit spendende Nest, das in Bewegung gerät, sodass sich das Festgefügte in einem wilden Wirbel auflöst. Feingeflochtene Körbe fransen an den Rändern aus, die Linien sprengen das Raster der Horizontalen und Vertikalen, schnellen auseinander, werfen sich auf, formen einen nicht zu bändigenden Schopf, ein Gestrüpp, aus dem vielleicht ein Vogelflügel ragt, oder in dem sogar ein Wolfsauge lauert, als Erinnerung an einen echten Wolf, der plötzlich beim Einnachten auf dem Parkplatz von Bedigliora stand – eine unheimliche Begegnung.
Auch andere Motive aus der Casa Atelier und der Umgebung finden sich in den Bildern: die knorrigen Glyzinien, die eckigen Blütenblätter der Hortensien, übereinandergestapelte Stühle. Die Künstlerin geniesst die Konzentration auf die schwarzen, manchmal blauen Tuschebilder. In kleinen Formaten entwirft und experimentiert sie, in grossen führt sie die Pinselstriche mit ganzem Körpereinsatz zu raumfüllenden Werken. Nur manchmal wechselt sie die Technik, greift zu den Seiten eines alten Brockhaus, die sie herausreisst, zusammenklebt, mit der Nudelmaschine in Streifen schneidet, am Spinnrad zu wortgesprenkelten Fäden spinnt und schliesslich zu einem überdimensionierten Einkaufsnetz häkelt.
Ob im Verflechten von Papierstreifen oder Tuschelinien: das Textile, Geflochtene, die Verbindung von Horizontalen und Vertikalen ist eine wichtige Konstante in Marianna Gostners Arbeit. Im der ruhigen Verbindung von Kette und Schuss liegt Ordnung und Zusammenhalt, die geballte Kraft des Gewebten, Verflochtenen – aus dem Wirbelsturm des zerborstenen Rasters bricht eine energische, wilde Wucht.
Ruth Gantert, Bedigliora, 20.03.2021