Sabine Arlitt

Sabine Arlitt hat ihre Kindheit und Jugend in Rapperswil am Zürichsee verbracht. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und europäische Volksliteratur. Auf das Studium folgte eine weitere Ausbildung als Journalistin an der Ringier-Journalistenschule. Seit vielen Jahren ist sie nun schon als freie Kunstkritikerin tätig, daneben verfasst Sie Texte für Kunstbücher und Ausstellungskataloge. All ihre Tätigkeiten haben etwas gemeinsam: sie vermitteln über die Sprache – sie vermitteln Kenntnisse, aber auch Sichtweisen und Emotionen. 

Fotos der Lesung (© Bruno & Eric Bührer)

Aufenthalt

01.04. - 05.07.2011

Ausstellung und Lesung: Fotogewebe, Texte und Gespinste

Sabine Arlitt, Wollkarde aus der Handweberei in Bedigliora, 2011

Einführung zur Ausstellung und Lesung

Sabine Arlitt kam nach Bedigliora mit zwei Projekten: sie wollte sich dem Thema der Zeit widmen, und sie wollte Untersuchungen zu der Farbe Weiss anstellen. Dazu brachte sie Bilder von weissgekleideten Frauen mit, die hier nun zum Teil zu sehen sind. Doch der spezielle Rahmen der Casa Atelier veränderte ihr ursprüngliches Projekt. Sabine Arlitt war fasziniert von ihrem Atelierraum: mit seinem Holzboden und den leicht gerundeten Mauern erlebte sie ihn als Schiff, unterwegs zwischen Wasser und Himmel. Durch die Fenster wird Strandgut angeschwemmt, das die Fischerin in ihren offenen Netzen auffängt und uns hier zeigt. Und während wir ihrer Anordnung folgen, erleben auch wir den Raum,  indem wir uns einmal recken, einmal bücken, um uns selbst drehen, einen Gesamteindruck aufnehmen oder uns in ein Detail versenken.

Die Bilder, die Sie hier sehen, hat Sabine Arlitt zum Teil bei ihren Recherchen gefunden, zum Teil hier erhalten. Vieles hat sie aber auch selbst fotografiert mit ihrem alten Handy. Verschiedene Themen lassen sich ausmachen: Bedigliora früher und heute, die Weberei im Dorf, Frauenporträts, Körper in Bewegung, Tanz. Und immer wieder Landschaften, Schnappschüsse in ganz speziellem Licht, die Farben grün, weiss und schwarz. Beim Thema Weberei (im „Heck“) treffen sich verschiedene Stränge: Die Thematik der Zeit, da die Bilder auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Kunsthandwerks hinweisen. Weben und spinnen sind auch sehr wichtig in Mythen und Märchen: hier denke ich an die Figur der drei Parzen, die unseren Lebensfaden spinnen und am Schluss abschneiden (eine mögliche Assoziation für die weissen Streifen, die sich im anderen Raum von der Decke ringeln und am Boden anhäufen).

Sabine Arlitts Interesse für die Weberei ist nicht nur kunsthistorisch, es ist auch ganz persönlich motiviert: sie selbst ist eine Weberin. Sie stellt Texte her, Texte wie Textilien entstehen im bewegten Verflechten verschiedener Fäden. So sehen Sie hier auch Wortgeflechte von Sabine Arlitt. Während ihres Aufenthalts hat sie kleine Texte geschrieben, sozusagen sprachliche Momentaufnahmen. Es entstand auch eine längere Geschichte, die sich um eine reale und erfundene Reise und Ankunft spinnt. Ein anderer Text beschreibt ihre Begegnung mit Bedigliora. Diesen Bericht von Sabine Arlitt können Sie mitnehmen und in Ruhe lesen.

Wichtig ist nicht nur das einzelne Bild, sondern auch und vor allem die Bezüge, die wir zwischen den Bildern herstellen. Wir können die Abfolge der Bilder als Geschichten lesen, als vorher und nachher: die Bank begibt sich auf Reisen, das Stroh wir zum Stein. Wir können aber auch Vergleiche herstellen, Gegensätze und Ähnlichkeiten erkennen in Form, Farbe, Licht und Rhythmus: Die Silhouette von Bedigliora mit seinem Kirchturm und die Gestalt einer sitzenden Frauenfigur von hinten, weisse Wäsche und schwarze Wäsche, der Rock der Tänzerin und die geschwungene Keramik, das stachlige Kardiergerät und die runde Brust... Einige dieser Verbindungen können uns erschrecken, nachdenklich stimmen, zeigen Widerhaken wie die Einladungskarte - andere sind witzig und verspielt (wie die Verbotstafel für Elefanten im Treppenhaus, oder der Blick dieser Dame, der sich ins Dekolleté dieser anderen versenkt...).

Die Bilder vermitteln uns nicht einen Inhalt, ein Wissen, sondern eröffnen uns einen Prozess, eine neue Art des Sehens. Jede und jeder von Ihnen wird so eigene Entdeckungen machen, die Bezüge sind vielfältig, das Weberschiffchen der Assoziationen springt hin und her. Und mit dem Bild des Weberschiffchens möchte ich schliessen: denn es vereint die Fischerin und die Weberin Sabine Arlitt, die als Vermittlerin ebenfalls zwischen den Kunstformen und zwischen den Personen hin- und herfährt und hier auf dem Schiff Casa Atelier Bedigliora ihr ganz eigenes Geflecht webt und spinnt. 

Ruth Gantert, 2.7.2011