Christine Brady

Christine Brady stammt aus der Innerschweiz und lebt in Basel. Sie verbrachte 40 Jahre ihres Lebens in London, wo sie Germanistik und Kunstgeschichte studierte und später Deutsch und Italienisch unterrichtete. Daneben galt ihr zentrales Interesse immer dem weitgefächerten, kulturellen Angebot Londons, besonders den Galerien, die ihr zahllose Gelegenheiten boten, ihr Auge zu schulen und ihr Kunstverständnis zu vertiefen.  

Während eines zweijährigen Art Foundation Kurses am Londoner City Lit. Institute wuchs ihre Faszination für eine zeichnerische Auseinandersetzung mit der Materie, bei der sich Überraschendes und Mysteriöses manifestiert, bis hin zum Surrealen und zur völligen Abstraktion.

Zeichnungen u. Fotografien von Christine Brady

Aufenthalt

02.07. - 30.09.2018

Wald. Baum. Berg.

Christine Brady, «Wald. Baum. Berg.»                                               Bedigliora, 29. September 2018

Christine Brady stammt aus der Innerschweiz und wohnt heute in Basel. Sie lebte vierzig Jahre in London, wo sie Germanistik und Kunstgeschichte studierte, Deutsch und Italienisch unterrichtete und später eine künstlerische Ausbildung am City Lit. Institute der University of the Arts abschloss, das ihre Arbeiten auszeichnete und in einer Ausstellung zeigte. Zwischendurch verbrachte sie fünf Jahre in einem Zen-Tempel in Frankreich. Diese beiden Orte und Lebensweisen sind sicher charakteristisch für Christine Bradys Interessen: Da ist die Liebe zur Grossstadt mit ihren Galerien, deren Besuch ihr Kunstverständnis schärften, und da ist die Suche nach Stille und die Konzentration auf das Wesentliche. 

Die Ausdrucksformen der Künstlerin sind hauptsächlich Zeichnung und Fotografie, wobei sie auch mit Radierungen und Aquarellen experimentiert. Sie zeichnet mit Kohle oder Stift und nicht mit Tusche, denn sie braucht den Druck und den Widerstand, den ihr das Papier entgegensetzt.

Aufgewachsen am Berg in der Innerschweiz mit Blick auf den Urnersee und das Rütli, verbrachte sie als Kind viele Stunden allein in Wald und Feld, in einer damals noch unberührten Bergwelt. Auf dem langen Schulweg betrachtete sie Pflanzen und Insekten, beim Spielen sah sie Landschaften in den Baumwurzeln, träumte sich Zwergenvölker dazu, die sie bewohnten. Die Wildheit und Kraft der Natur ist immer noch spürbar in ihrem Werk, wenn auch heute gepaart mit Melancholie und dem Bewusstsein für die Fragilität der Umwelt und die menschgemachte Zerstörung.

Christine Bradys Zeichnungen gehen vom Konkreten aus, vom Organischen, Berührbaren. Sie schaut vom Balkon der Casa Atelier auf die umliegenden Hügel und Wälder und ist fasziniert von der Anordnung der einzelnen Elemente, die ein rhythmisches Ganzes ergeben: Jeder Baum hat seine Persönlichkeit – «Schau, wie aufrecht das Tännchen dasteht, wie zerzaust sich ihr Nachbar hinkauert, wie anmutig der daneben auftritt, wie neckisch der Kleine da seine Krone reckt!»

Sie fotografiert die Baumgruppe, legt ein Raster über das Bild und zeichnet Quadrat um Quadrat, ohne den Blick für das Ganze zu verlieren. Geduldig und beharrlich geht ihr Strich den Verästelungen und dem Blattwerk nach. Erstaunlicherweise erwachsen gerade aus diesem genauen Zeichnen nach Vorlage abstrakte Formen. Im Bekannten entsteht etwas Fantastisches: Gesichter blicken aus dem Geäst, geisterhafte Gestalten tauchen darin auf und ziehen die Betrachter in den Strudel ihres Tanzes. Die einzelnen Figuren setzen sich zu einer neuen Komposition zusammen, wie bei Arcimboldo die aus Früchten oder Gemüse zusammengesetzten Gesichter.

Christine Brady faszinieren die Bäume als Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde. Sie verwandeln die Energie der Sonne, greifen wie mit Händen in den Boden, schiessen hoch auf mit unerhörter Wucht. Ihre Einzelporträts der Bäume zeigen diese Bewegung und Verwandlungskraft: Das sind die lang ausgestreckten Wurzeln, die wie Tier-Arme behaarten Stränge, oder da ist die geballte Kraft der Kastanie, die direkt aus dem Boden bricht und das Blatt zu sprengen scheint. Mit dem Radiergummi kontrastiert die Künstlerin die schwarzen Kohlestriche. Durch das Anfügen und Wegnehmen, durch Einzelstriche und Schraffierungen entstehen atmosphärische und perspektivische Tiefen. 

Auch die Fotografien mit dem schönen Titel «Sommernachtstraum» lassen die Faszination der Künstlerin für das Träumerische, Fantasievolle, Bewegte in der Pflanzenwelt erkennen: Da tänzeln Blätter über Stämme, schauen Gesichter aus abgeblätterten Baumrinden, formieren sich Licht und Schatten zu Höhlenlandschaften oder zeichnen sich rätselhafte Botschaften ab.

Nicht immer arbeitet die Künstlerin mit Fotografie. Sie stellt die Staffelei auch direkt vor den Monte Mondini und wirft mit mutigen Stichen Umriss und Struktur aufs Papier – aus dem harmlos geglaubten Hügelrund wird eine Symphonie aus Klüften, Bergfalten und Wirbeln.

Die Künstlerin selbst sagt dazu: «Zeichnen bedeutet, sich mit dem Betrachteten auseinanderzusetzen, sich auf das Betrachtete einzulassen. Beim genauen Hinschauen entsteht Intimität; es eröffnen sich Gesetzmässigkeiten, die es zu respektieren gilt. In ihnen versteckt sich nicht weniger als die Seele, das Geheimnis des Betrachteten, das Lebendige, das sich in glückhaften Momenten dem interpretierenden Auge und Strich der Zeichnenden enthüllt.»

Und sie zitiert eine Strophe aus Brechts Buckower Elegien:

Geh ich zeitig in die Leere
Komm ich aus der Leere voll. 
Wenn ich mit dem Nichts verkehre 
Weiss ich wieder, was ich soll.

 

Ruth Gantert