Françoise Rod

Nach einer ersten Ausbildung in Bildender Kunst in Florenz schlug Françoise Rod einer künstlerischen Laufbahn ein, mit zahlreichen Einzel- und Kollektivausstellungen, internationalen Kooperationen, künstlerischen Aufenthalten in Kolumbien, Grossbritannien, Italien. Gleichzeitig setzte sie ihre Ausbildung fort mit einer Dissertation in Medellin, Kolumbien, und einem Doktorat in Paris VIII in Ästhetikwissenschaften und Technologien der Künste. Sie arbeitet oft in Kollaboration und hat mehrere Kunsträume mitbegründet, wie belt a space in between in London mit Ella Gibbs und tadlachance in Cuges Les Pins bei Marseille mit Madeleine Doré.

Après une formation initiale aux Beaux Arts de Florence, Françoise Rod se consacre à une carrière artistique: multiples expositions individuelles et collectives, collaborations internationales, séjours artistiques en Colombie, Grande Bretagne, Italie. En parallèle elle poursuit sa formation : Mémoire à Medellin, Colombie, Doctorat à Paris VIII en Esthétique Sciences et Technologies des arts. Elle travaille souvent en collaboration et a co-fondé plusieurs espaces d’art comme belt a space in between à Londres avec Ella Gibbs et tadlachance à Cuges Les Pins près de Marseille avec Madeleine Doré.

Flügel und Blätter / Ailes et feuilles

Aufenthalt

05.07. - 26.09.2021

Flügel und Blätter / Ailes et feuilles

Madeleine Doré und Françoise Rod zeigen Werke, die in Bedigliora entstanden sind. Zur Feier des 20-Jahre-Jubiläums der Stiftung gibt es ein Konzert mit den beiden Musikern Dom Lampa (Gitarre und Gesang) und Goran Stojadinovic (Akkordeon).

Flügel und Blätter

Madeleine Doré und Françoise Rod                                      

Die beiden Künstlerinnen Madeleine Doré und Françoise Rod leben in Cuges bei Marseille, wo sie das Kollektiv Tadlachance gegründet haben. Beiden geht es darum, Kunst für die Leute konkret erfahrbar zu machen, sei es beim Unterrichten oder in Ausstellungen, Performances und Happenings. Françoise Rod ist in Lausanne aufgewachsen, Madeleine Doré stammt aus dem Québec, für ihre kulturellen Projekte reisen sie viel. In Bedigliora genossen die beiden Künstlerinnen samt ihrer Katze Haus und Garten in vollen Zügen. Im Auto, zu Fuss, schwimmend oder auf dem Fahrrad erkundeten sie neugierig und unvoreingenommen Museen, Kirchen, Brockenhäuser, Wälder und Seen. Die Umgebung kommt bei beiden auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck.

Madeleine Doré ist beeindruckt vom grossen, schlichten Raum des oberen Ateliers, der ihr fast wie ein Tempel vorkommt. Da schwebt ihr ein Bild vor, das etwas Textiles hat, ein Tempeltuch oder ein Umhang. Ausgehend von einem getrockneten, filigranen Buchenblatt malt sie mit Aquarellfarben Strukturen auf ein Papier. Dem Papier fügt sie zwei gleiche Quadrate, dann vier, dann sechs hinzu – so verbreitert es sich und wächst nach oben. Die Verästelungen setzen sich fort, die Äste bekommen Blätter und zuoberst wachsen Samenkapseln aus dem verschlungenen Geflecht. So entsteht ein Lebensbaum, der neue Pflanzen hervorbringt. Jedes Blatt weist die Struktur des ganzen Baumes auf, das Grosse spiegelt sich im Kleinen, der Makrokosmos im Mikrokosmos. Zuletzt  schneidet Madeleine Doré die Blätter aus, so dass sie sich leicht vom Papier abheben und die Schnittränder das Licht durchlassen. Damit erweist sie auch der Schweizer Volkskunst des Scherenschnitts (z.B. der Alpabzüge im Appenzell) ihre Reverenz.

Als Antwort auf den Lebensbaum kann das grüne Bild mit den meditativen Längspinselstrichen gesehen werden, mit seiner umgekehrt von oben nach unten wachsenden Form. Hier geht es der Künstlerin um die Anatomie einer Pflanze, die sich mit Wurzeln und Kapseln in der Erde verankert.

Neben diesen grossen, langsam anwachsenden Arbeiten malt die Künstlerin auch kleinere Bilder, auf denen  jeweils ein Mädchen mit verschiedenen Tieren zu sehen ist. Sie zeichnet zuerst nur, ohne Plan, und schreibt dann später Geschichten dazu.

Seit dem zweiten Lockdown malt Madeleine Doré jeden Abend ein Bild. Bedingung ist eine Linie, die sich frei entfalten kann, aber von der einen Seite des Blattes auf die andere führen muss. Mit neuen Linien ergeben sich farbige Flächen, die sich wie ein Tagebucheintrag präsentieren. Die Blätter liessen sich wie Dominosteine aneinanderlegen und würden so als farbige Spur über die drei in Bedigliora verbrachten Monate führen.

Françoise Rod befasst sich schon seit längerem leidenschaftlich mit zähflüssigem, fetthaltigem Material wie Kerzenwachs und Öl. In Bedigliora legt sie Pflanzen in Öl ein: Pfefferminz, Johanniskraut, Rosen, Nachtkerzen, Sonnenhüte und Disteln, die das Öl verfärben und aromatisieren. Sie nimmt Pillenkapseln, Perlendöschen, Fläschchen, Röhrchen und Schwimmer aus Plastik, füllt Öl hinein und verschliesst sie wieder mit Leim. Diese Gefässe hängt sie in ausgeklügelter Komposition mit Nylonfaden über- und nebeneinander. Das Gerüst aus Nylonfäden, an denen Reissnägel zur Beschwerung hängen, lässt sie bestehen, es erinnert an ein Streichinstrument, eine Luftharfe – während das farbige Gebilde an einen Flügel denken lässt, der sich voll Elan von unten nach oben aufschwingt.

Vielleicht als Antwort auf das verspielte Mobile mit seinen verschlungenen Röhrchen und farbigen Döschen schafft sie das einheitlichere Gebilde mit in regelmässigen Abständen aufgeknüpften Fläschchen in einem Doppelschwung, der an ein hebräisches Lamed, den Buchstaben L, erinnert. Beide Luftskulpturen sind begehbar, man kann sich hineinstellen, von den behängten Fäden umspielen lassen, und erfährt dabei eine besondere Energie, fühlt sich selbst am Faden hochgezogen, transparent und lichtdurchflutet.

Im Atelier ist auch das Labor der Künstlerin zu sehen, mit alchemistisch anmutenden Gefässen voller mysteriöser Tinkturen. Françoise Rod füllt sie u.a. in Pillenformen jeglicher Grösse – für Menschen bis für Elefanten gedacht. Die Schwimmkapseln, Dosen und Fläschchen sind transparente Behälter, die Öl und Luftblasen umschliessen. Die Gefässe selbst sind unscheinbar, erhalten erst mit dem Inhalt ein Präsenz durch Farbe und Licht. Sie bilden die feine Trennlinie zwischen Innen und Aussen, die beides erst erfahrbar machen.

So unterschiedlich sie sind, Madeleine Dorés lichtumspielten Blättern und Françoise Rods schillernden Flügeln ist einiges gemein: Leichtigkeit und Präzision, Beharrlichkeit und Fantasie, Sorgfalt im Detail und beschwingte Gesamtkomposition.   

 

Ruth Gantert
Bedigliora, 25. 9. 2021