Roma Messmer

Roma Messmer ist in Zürich geboren und aufgewachsen. Nach einer Erstausbildung (KV) realisierte sie den Wunsch einer gestalterischen Ausbildung. Als Erwachsenenbildnerin gab sie Kurse an der Klubschule Migros, bevor sie sich selbständig machte. In ihrer eigenen Gestaltungsschule «atelier 5» in Bubikon gibt sie seit vielen Jahren Kurse in Malen, Aquarellieren, Aktzeichnen und experimentellen Drucktechniken. Ihre Arbeiten stellt Roma Messmer in Einzel- oder Gruppenausstellungen aus. 

Fotos der Ausstellung (© Bruno & Eric Bührer)

Aufenthalt

01.04. - 30.06.2012

Ein Lächeln am Fusse der Leiter

Roma Messmer, «Ein Lächeln am Fusse der Leiter», Acryl, Japanpapier, Draht

«Wer reist, kennt jene Augenblicke, da all das, was uns stark macht, entschwindet und sich wie in einem Albtraum gegen uns wendet. Hinter dieser erschreckenden Auflösung, hinter diesem Nullpunkt des Lebens und dem Ende unserer Reise muss es noch etwas geben. Etwas, was ganz und gar ungewöhnlich ist [...]. Vielleicht jene uranfängliche Fröhlichkeit, die wir einmal kannten, dann verloren, manchmal wiederfanden – und im Blindekuhspiel unseres Lebens stets zu ertasten suchen.» (Nicolas Bouvier, Skorpionfisch, übersetzt von Stefan Zweifel, Lenos Verlag 2011, S. 124.)

Dieses Zitat aus Nicolas Bouviers Skorpionfisch hat die Künstlerin im Atelier in Bedigliora aufgehängt. Bouvier schreibt über seine Zeit in Ceylon (Sri Lanka), die sicher ganz anders war als Roma Messmers Zeit in Bedigliora – und doch ist ein Aufenthalt weg von zuhause, weg von den Leuten, die einem sonst nah sind und von den lieben Gewohnheiten, immer ein Risiko. Ohne unsere Routine sind wir fragiler als sonst, durchlässiger. So war es für die Künstlerin ein Aufbruch ins Ungewisse, als sie alleine in die Casa Atelier zog. Das Resultat können wir hier sehen, und dieser spezielle, verletzliche Zustand ist erkennbar: Lebenskraft und Vergänglichkeit, Stärke und Fragilität charakterisieren die Werkschau.

Zuhause und unterwegs – mit diesem Thema befassen sich Bilder, die ein Haus mit Treppe zeigen, Wege oder Pflöcke, die das Leitern-Motiv bereits einführen. Die Farben sind eher fahl, wenig Licht ist zu sehen, umso wichtiger werden kleinste Nuancen. Tatsächlich war das Wetter häufig schlecht, die Umgebung oft in Nebel getaucht. So verzichtete die Künstlerin auf ein ursprüngliches Projekt mit von der Sonne belichteten Blaupausen, und fotografierte stattdessen die Landschaft im auf- und abziehenden Nebel. Manche Fotos – teilweise mit Farbstreifen übermalt – zog die Künstlerin auf Holztafeln in verschiedenem Format auf, die sie nebeneinander reiht: so wirken die Bilder je für sich, geben in der Anordnung aber auch der Serie ihren eigenen Rhythmus.

Lebenskraft und Vergänglichkeit gehören zu den Blumen, die Roma Messmer zu Hunderten sammelte, und deren Entwicklung sie beobachtete. Die Blütenblätter der blauen Mondviolen bewahren ihre Leuchtkraft, und der Löwenzahn bringt nach dem Verblühen sogar wenn er schon gepflückt wurde noch eine Frucht hervor. Unten zeugt eine Projektion von diesem Experiment. Aufgereihte Blüten, zum Kreis geformte Fruchtballen: Das Vergängliche erhält eine erstaunliche Stärke und Präsenz.

Stärke und Fragilität charakterisieren auch die plastischen Gebilde, die Roma Messmer mit Draht, Schnur und Japanpapier realisierte: ein Traumschloss und ein Stuhl stehen auf dünnen Beinchen, ein Fenster fehlt, ein Stuhlbein schwebt über dem Boden – Orte, an denen man sich niederlassen könnte, sind durchlässig, filigran, schwankend wie Leitern – und doch behaupten sie sich und halten die Stellung.

Erdenschwerer und unbeweglicher wirkt die Auslegeordnung von dunkelgrauen Objekten auf dem Boden, wie auf einem Tisch. Manche Formen erkennen wir (eine Konservendose, ein Ast), andere bleiben rätselhaft: Sind es Fundstücke, Zivilisationsreste, oder hat die Künstlerin sie hergestellt? Sind die Materialien Metall, Plastik, Holz oder Pflanzen? Wertvoll oder wertlos, künstlich oder organisch? Der Graphitüberzug verfremdet sie, gibt ihnen ein einheitliches Aussehen. «Sinonimo» heisst die Arbeit, die vielleicht erschrecken kann: stehen wir vor den zukünftigen Resten unserer Welt, fein säuberlich geordnet wie im Museum die Zeugnisse einer untergegangenen Zivilisation? Vor dem, was nach der Katastrophe übrigbleibt, wie die in Lava getauchten Gegenstände von Pompeji nach dem Vulkanausbruch? Die Gleichwertigkeit kann aber auch trösten oder neugierig machen: Vorgefasste Kategorien wie „wertvoll“ und „wertlos“, „schön“ und „hässlich“ sind nicht unumstösslich. Vorurteilsfrei sieht das Auge neu, entdeckt anderes – manchmal mit einem Lächeln.

«Ein Lächeln am Fusse der Leiter» heisst die Ausstellung von Roma Messmer. Vielleicht kam sie auf dieses Motiv der Leiter, die Himmel und Erde verbindet, weil von der Casa Atelier aus so ein grosses, weites Stück Himmel zu sehen ist. Wir stehen am Fusse der Leiter – was aber ist am oberen Ende? Am Ende der Reise «muss es noch etwas geben» wir Bouvier sagte – was das ist, beantwortet die Künstlerin nicht, aber sie ist unterwegs – und bewegt.

Ruth Gantert