Donatella Bisutti

Donatella Bisutti wurde in Mailand geboren. Nach dem Studium an der Universität Löwen in Belgien arbeitete sie als Journalistin und Autorin. Sie veröffentlichte mehrere Gedichtbände, von Inganno ottico über Colui che viene zu Rosa alchemica. Ihr Werk umfasst auch eine Aphorismensammlung (La parte dell’innocenza) und einen Roman (Voglio avere gli occhi azzurri). Sie hat Bücher von Edmond Jabès und Bernard Noël übersetzt, sowie zeitgenössische Gedichte aus dem Englischen, dem Französischen und dem Portugiesischen ins Italienische übertragen. Literatur und Poesie sind ihre Ausdrucksweise, doch sie befasst sich auch immer wieder mit der Frage, wie sie diese besondere «Sprache» weitergibt, wie sie Erwachsene und Kinder an Gedichte und literarische Texte hinführen kann. Die Arbeit als Literaturvermittlerin beschäftigt sie als Mitarbeiterin an verschiedenen Büchern und Zeitschriften, und als Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift Poesia e spiritualità. Ausserdem leitet sie Kurse und Workshops in kreativem Schreiben. Donatella Bisutti lebt in Mailand und in Madeira, in Portugal. 

Aufenthalt

01.07. - 30.09.2013

Gedichte

Gedicht: Donatella Bisutti. Übersetzung: Ruth Gantert

Einführung zur Lesung

Nach Bedigliora kam Donatella Bisutti mit drei verschiedenen Projekten, die sie alle drei abschliessen konnte, und die nun alle publiziert wurden oder werden:

Eine Gedichtsammlung mit dem Titel Tentazione (Lussuria), aus der wir heute einige Gedichte hören werden, ein Band mit Liebesgedichten, Un amore con due braccia, und schliesslich der Band Dal buio della terra, der im Januar erscheinen wird.

Sie hat in Bedigliora aber nicht nur für sich im stillen Atelier gearbeitet, sondern ist auch in die Schule gegangen, um ihre Liebe zur Poesie mit den Kindern zu teilen. In die Schulstube brachte sie ein rohes Ei, da sie den Kindern den Buchstaben und den Klang des Vokals «o» näherbringen wollte: «l’uovo» (das Ei) «si rompe» (zerbricht). Das Ei wollte aber nicht zerbrechen, die Plastikschüssel, die die Dichterin mitgebracht hatte, war zu weich – schliesslich fiel das Ei zum Gaudi der Schüler und zur etwas geringeren Freude des Abwarts auf den Boden des Schulzimmers und zerbrach dort. Bestimmt wird niemand das Ei der Dichterin vergessen.

Diese kleine Geschichte scheint mir bezeichnend für Donatella Bisuttis Gedichte: Klang und Rhythmus sind ganz wichtig, es geht um das sinnliche Erleben der Sprache, und gleichzeitig der Welt, die sie beschreibt. Häufig ist es die Natur, Bäume und Pflanzen, der Himmel, der Mond, die Sterne. Die Dichterin lässt sie in einfachen Bildern vor unseren Augen entstehen, wie im Gedicht der Einladungskarte «Aus dem Flechtkorb der Äste / quillt der Himmel». Im Vergleich zwischen Korb und Astgeflecht hält plötzlich das Kleine, Alltägliche (der Korb) das Grosse, Allumfassende (den Himmel). Auch Humor und Leichtigkeit hat Platz in diesen Bildern: So fragt sich die Dichterin, ob das Insekt auf dem Blatt im Fluss wohl einen Ausflug mache? Vielleicht ist es aber auch zum Tode verurteilt? – Und plötzlich kippt die Leichtigkeit in eine existentielle Erfahrung, denn sind wir nicht alle wie ein Insekt auf einem Blatt im Fluss? Wir können unsere Reise geniessen oder auch nicht, unsere Fragilität ist so gewiss wie die des rohen Eis, das schlussendlich zerbricht.

Ruth Gantert, 21. 09. 2013