Maia Hänny

Maia Hänny wurde in Winterthur geboren. Sie besuchte die Kunstakademie Düsseldorf und war danach drei Jahre in Paris an der École des Beaux-Arts. Zwei längere Aufenthalte führten sie nach Mexiko. Sie lebt in Zürich, wo sie in ihrem Atelier arbeitet. Bis vor fünfzehn Jahren bestand ihr Werkzeug aus Pinseln, Ölfarben und Leinwand. Dann setzte sie sich an den Computer und lernte im Selbststudium die 3D-Animation. Drei Jahre später zeigte sie erstmals bewegte Bilder: überlebensgrosse Wanzen, die herumkrabbeln, Traubenbeeren, die nacheinander vertrocknen oder Hummeln, die Honig suchen. Die Filme begleitet sie mit Tonspuren, die sie aufnimmt, präpariert und mischt. 

Fotos der Ausstellung (© Bruno & Eric Bührer)

Aufenthalt

01.04. - 30.06.2015

Verweilen

Maia Hänny, Aquarell Bedigliora 2015

Einführung zur Ausstellung

Was der Künstlerin in Bedigliora besonders gefiel war die Musse, Eindrücke aufzunehmen, ihrer Neugierde «der Nase nach» zu folgen, Experimente zu versuchen ohne Blick auf die Uhr und auf das Resultat. Nur ein «Produkt» musste doch relativ schnell entstehen: die Einladungskarte für die Ausstellung. Maia Hänny wählte als Motiv eine Wäscheklammer, die sie im Haus vorfand und die sie viele Male aquarellierte, wobei sie mit der ungewohnten Technik immer vertrauter wurde. Die Wäscheklammer-Bilder sind – witzigerweise an echten Wäscheklammern, die das Motiv spiegeln – in der Küche aufgehängt. Die Künstlerin gab ihrer Werkschau den Titel «Verweilen», der ebenso zu ihrem Aufenthalt wie zum Kartenmotiv passt: das «Chlüppli» hält etwas in der Schwebe, fixiert es, jedoch nur vorübergehend, nicht dauerhaft, in einem labilen Gleichgewicht. Frei schwebend, etwas alleine und verloren, in einem provisorischen Umfeld verweilte auch die Künstlerin in der Casa Atelier.

Mit der Thermalkamera filmte sie das Geschehen vor dem Haus. Beharrlich, lange wartend auf Ereignisse, die sie einzufangen versuchte, oder die ganz unerwartet eintrafen. So wollte sie einmal Glühwürmchen im Garten aufnehmen, als sich unverhofft ein Fuchs ins Bild schlich. Die Wärmekamera verfremdet die Bilder, lässt Gewohntes neu und seltsam aussehen. Bewegungen erscheinen leicht verzögert. Die Flügel der Insekten sind auf dem Bild schwarz, denn sie sind kalt, während die warmen Körper weiss zu sehen sind.

Die Tonspur, die parallel zum Film läuft, stammt ebenfalls aus Bedigliora, wurde aber nicht gleichzeitig mit den Bildern aufgenommen, sondern unabhängig davon. Man hört Kirchenglocken, das Summen der Insekten, Vögel, die Katze, Fledermäuse, die ausfliegen und einander zurufen. Instinktiv beziehen wir Ton und Bild aufeinander: Was wir hören, verbinden wir gewohnheitsmässig mit dem, was wir sehen: Wir Menschen können gar nicht anders, als Sinnzusammenhänge herzustellen.

Andere Filmarbeiten widmet Maia Hänny den Blumen, die sie ihre Kamera in Intervallbildern fotografieren lässt: alle fünf Sekunden ein Bild. In rascher Abfolge zeigen die so entstandenen Bilder zum Beispiel das Aufgehen einer Mohnblume. Dazu genügt es, die Kamera einzurichten und morgens früh einzuschalten, um das sonst unbeachtet ablaufende, tausendfache Naturgeschehen festzuhalten. Einzelne Fotografien dienen als Vorlagen für Aquarelle oder Tuschzeichnungen in einem Wechsel zwischen analoger und digitaler Welt. Menschen kommen darin fast gar nicht vor, dafür ist die Pflanzen- und Tierwelt umso präsenter. Die Künstlerin richtet ihre Aufmerksamkeit nicht auf weite Landschaften, Gesamteindrücke, sondern auf Ausschnitte: Sie beobachtet einzelne Blumen und Tiere. «Der Kuckuck und die Amsel – die hatten einen Streit.» Maia Hänny filmt das Scharmützel und nimmt die empörten Vogellaute auf.

Fasziniert beobachtet sie die Nachbarkatze, die mit ihrem Schatten spielt, die Augen kurz öffnet und wieder schliesst, nur mit der Schwanzspitze zuckt oder so schnell vorbeihuscht, dass sich die Formen auflösen. Zeichnungen mit Bleistift oder Tusche nehmen Konturen und Bewegungen des Tieres auf. Mit leisem Grauen kann man verfolgen, wie der Ameisenlöwe vorbeikrabbelnden Ameisen auflauert, sie in seinen Trichter fallen und dort zappeln lässt, wenn sie nicht doch noch entkommen.

Die Natur hat nichts Idyllisches, und Maia Hännys Arbeiten zeigen ohne Wertung schöne, befremdliche, grausame Momente. Mit offenem, geduldigem Hinsehen bringt ihr ruhiger Ausflug ins Ungewohnte auch uns zum Verweilen.

 

Ruth Gantert