Regula Weber

Regula Weber lebt und arbeitet in Zürich, wo sie als freischaffende Künstlerin und im Teilpensum als Lehrerin für Bildnerische Gestaltung arbeitet. Die Ausdrucksmittel ihrer künstlerischen Arbeit sind Malerei, Zeichnung und Installation.

 

Fotos der Installation «ra sosta sott i portec», Ausstellung «Felder» (© Bruno & Eric Bührer)

Aufenthalt

01.10. - 31.12.2011

Installation: «ra sosta sott i portec»

Herzliche Einladung zur Installation im Dorf Bedigliora, von der Künstlerin Regula Weber.

Titel der Installation: «ra sosta sott i portec».

Samstag 26. 9. 2015, 15 - 19 Uhr mit Apéro

Dauer der Ausstellung: 26. 9. 2015 - 26. 10. 2015

Einführung zu Regula Webers Installation «ra sosta sott i portec»

Bei Renata Vonarburg beginnen die Vögel, mit den Flügeln zu schlagen und fliegen schliesslich zum Fenster hinaus.  Mit Vögeln und Vogelflug befasst sich auch Regula Weber in ihrer Installation «ra sosta sott i portec» – hiesiger Dialekt für «Die Rast unter den Laubengängen». Regula Weber war 2011 Gast in Casa Atelier und beschäftigte sich damals u.a. mit Kapellen, Madonnenfiguren, Schriften und Nachtbildern. Ihre Ausstellung hiess «Felder» / «Ambiti». Nun kommt sie nach Bedigliora zurück mit elf in Aluminium gegossenen Rauchschwalbennestern, die sie im Dorf unter den gedeckten Gängen installierte. Ein Plan zeigt an, wo im Dorf die Nester montiert sind. Auf der Ausstellungskarte ist kein Nest zu sehen, sondern die halbe Hohlform, in der das Nest gegossen wurde. Warum Rauchschwalben, und warum in Bedigliora? – Darauf weiss die Künstlerin eine präzise Antwort:

«Früher gab es in Bedigliora Schwalben, die im Herbst Richtung Süden in ihr Winterquartier zogen. Unterdessen gibt es in Bedigliora, wie auch in anderen Gebieten der Schweiz, keine Schwalben mehr – oder fast keine. Grund für ihr Wegbleiben ist ein Mangel an Insekten und auch an Pfützen, in denen die Vögel Lehm für ihre Nester finden können. Eine Schwalbe formt 700 bis 1500 Lehmkügelchen, um ihren Nistplatz zu bauen.

Schwalbennester sind nicht nur von ihrer Architektur her besonders. Die Schwalben leben seit Jahrhunderten in engster Nachbarschaft mit dem Menschen, brüten meist in Ställen und Scheunen und gelten als Glücksbringerinnen. Jährlich sind etwa fünfzig  Milliarden Zugvögel unterwegs in ihr Winterquartier, davon etwa fünf Milliarden zwischen Europa und Afrika. Sie sind Tag und Nacht unterwegs und fliegen tausende Kilometer. Doch viele der Vögel werden dort nie ankommen, denn Vogeljäger fangen jeden Herbst Millionen von ihnen ab.

Die nachgegossenen Rauchschwalbennester sind meist an den ursprünglichen Orten installiert, wo die Schwalben einst ihre Nester bauten. Die Nestabdrücke oder -fragmente sind oft noch zu sehen. Die Nester aus Aluminium haben die Form einer flachen Viertelkugel und sind im oberen Teil offen.

Die Installation will nicht nur den rückläufigen Schwalbenbestand thematisieren. Tausende von Migranten vollziehen ebenfalls eine Reise in Süd-Nord-Richtung und suchen einen Ort, an dem ihre Lebensgrundlage besser sein soll. Es ist nicht ihr innerer Kompass, sondern die Perspektivenlosigkeit, welche sie antreibt, diese lebensgefährliche Reise anzutreten.»

So die Künstlerin über ihre Arbeit. Das Wort und Objekt «Nest» verbinden wir mit Wärme, Weichheit und Geborgenheit, mit Intimität und Schutz für die Kinder. Wie steht es mit den Aluminium-Nestern? Wer sie entdecken will, muss den Blick heben zu den Balken und Steinquadern, die ein Dach bilden über den mit Natursteinen gepflasterten Dorfgassen. Diskret, leicht silbern schimmernd oder von matter Patina bedeckt, sind sie in rhythmischer Abfolge angeordnet: meistens eines allein, manchmal zwei nebeneinander oder gegenüberliegend. In ihnen wird kein Vogel nisten – wir sehen sie von aussen, nicht als Schutzhülle für die anwesenden Bewohner, sondern als Zeichen für deren Abwesenheit. Vielleicht sagt das für ein Nest ungewöhnliche Material – zu hart, zu schwer und zu kalt – auch etwas aus über unsere Welt, aus der hiesige Schwalben verschwinden und in der Menschen aus fernen Ländern keine Bleibe finden.

Ruth Gantert, 29. 09. 2015

 

Ihren Aufenthalt von Oktober bis Dezemer 2011 beschloss Regula Weber am 10. 12. 2011 mit der Ausstellung «Felder».

Regula Weber, o. T., Aquarell, Bleistift, 29.7 x 21 cm, 2011

Einführung zur Ausstellung «Felder»

Regula Weber arbeitet in verschiedenen Techniken: Sie zeichnet mit Bleistift und Farbstift, aquarelliert, malt Ölbilder, macht Plastiken und Installationen. Dabei geht sie immer von der konkreten Realität aus, von Menschen und Dingen, Szenen, die ihr begegnen. In Bedigliora kam sie im September an – zum ersten Mal war sie ganz allein in einem Haus und in einer ihr unbekannten Umgebung. Das fiel ihr am Anfang nicht ganz leicht. Sie richtete sich in dieser ungewohnten Situation ein, indem sie sich ihre Rituale schuf. Und was sie bei diesen Ritualen antraf, wurde zum Ausgangspunkt  ihrer Arbeit.

Da war zum Beispiel der Blumenstrauss, den sie sich gleich am ersten Abend pflückte, um es sich wohnlich einzurichten. Regula Weber fand die Blumen im Garten und meinte, es sei Kamille, die als Heilpflanze ihr leises Heimweh etwas lindern könnte …  Tatsächlich handelt es sich um das sogenannte Berufskraut. Die Künstlerin pflückte jeden Tag einen Strauss davon und stellte die Sträusse nebeneinander auf den Küchentisch. Die Blütenblätter lösten sich und fielen auf die Tischplatte, wo Regula Weber sie aufsammelte. So entstanden ganze Krüge voll Blättchen, die sie in der Ateliernische zu einem Haufen zusammenschüttete. Wie der heruntergerieselte Sand einer Sanduhr zeigt dieser Haufen das Vergehen der Zeit, im Verblühen und Fallen der Blütenblätter.

Eine andere Pflanze inspirierte die Gebilde im oberen Teil der Nische: Es ist die Glyzinie, deren Schoten im September schwer und prall vom Balkon hingen. Regula Weber hat sie mit Dreck eingerieben, in Haushaltsfolie eingepackt und zugeklebt, dann die Hüllen wieder geöffnet und leer aufgehängt.

Ein weiteres Ritual waren die täglichen Spaziergänge. Jeden Morgen ging Regula Weber den gleichen Weg, der sie an mindestens fünf verschiedenen Kapellen vorbeiführte, und besuchte den Friedhof von Bedigliora. So kamen Motive hinzu, die ihr unterwegs auffielen: die Madonna, deren Haar- oder Strahlenkranz sie auf den Bildern mit der Dornenkrone Christi assoziiert, ist das Sujet der Einladungskarte. An Dornen oder Nägel am Kreuz lassen auch die leeren Blütenstiele denken, die Regula Weber aquarellierte. Auf dem Friedhof berührten sie die Medaillons, die das Foto der Verstorbenen hinter Glas zeigen. In ihrer Installation hat sie statt des Medaillons die runde Linse eines Hellraumprojektors aufgehängt, hinter der ganz leicht eine verblichene Schrift zu sehen ist.

Die Grabinschriften waren ein anderes Motiv, das die Künstlerin faszinierte : so las sie auf einem Grabstein zwei Danteverse aus der Göttlichen Komödie, die sie auf einer Zeichnung festhielt:

Habt ihr denn nicht erkannt : wir sind die Larven,
Nur für den Engels-Schmetterling geschaffen, 

Dante, Fegefeuer X, V. 124-125

Die Schrift bildete sie mit Farbstift auf Papier nach, wobei sie den Farbstift so leicht aufsetzte, dass man die einzelnen Worte nicht mehr lesen kann, sondern nur noch Wortblöcke verschiedenener Länge die Zeilen formen. Daraus entstand eine ganze Serie Schriftzeichnungen, in denen die Künstlerin nicht mehr von einem bestimmten Text ausging, sondern das Schriftbild selbst erfand, mit seinem Rythmus aus durchbrochenen Linien und manchmal eingrückten Rändern.

Auch die tägliche Zeichnung gehörte zum Ritual der Künstlerin. Zusammen ergeben diese Blätter das Tagebuch ihres Aufenthaltes. Malen konnte Regula Weber tagsüber schlecht, weil das Licht so grell ins Atelier fiel. Deshalb verlegte sie sich darauf, abends und nachts zu malen. Und die Nacht bestimmte dann die Atmosphäre der Ölbilder. Es sind nächtliche Szenen aus der Umgebung der Casa Atelier: eine Tankstelle, in der Möbel und Teppiche gelagert werden, die weisse Nachbarskatze im Garten – nicht herzig, sondern eher geheimnisvoll-unheimlich… Regula Weber beleuchtete die Motive mit dem Scheinwerfer ihres Autos oder ihrer Taschenlampe, fotografierte sie und malte sie dann im Atelier. Mehrfach übermalt, bleiben Spuren früherer Formen und Farben auf den Bildern. Vor einem Lokal im Dunkeln sind weisse Plastikstühle aufgeschichtet: eine ganz konkrete, alltägliche Szene, und gleichzeitig ein Bild für das Vergängliche. Abend? Saisonende? Betriebsende? – Es bleibt in der Schwebe, sachlich und melancholisch.

Pflanzenbilder, Schriftbilder, Tagbilder, Nachtbilder – Regula Weber geht ihren Motiven beharrlich und genau nach, verdichtet sie assoziativ und hintergründig zu einem eigenen Kosmos.

Ruth Gantert, 10. 12. 2011